Peinliches Gezerre, Erbsenzählen, Haare spalten oder einfach nur: Debatte zur Stammzellenforschung. Es gibt nun also frische Stammzellen für unsere deutschen Wissenschaftler, die alten haben schon ein wenig gemüffelt. Zudem wissen wir seit etlichen TV-Kochformaten, dass frisch einfach besser ist. Durften Wissenschaftler bisher nur Stammzellen importieren, die vor dem 01.01.2002 erzeugt wurden, gilt nun der 01.05.2007 als neuer Stichtag, aber dann ist auch wirklich gut. Oder auch nicht, ich vermute dieselbe Farce wird sich dann wiederholen, ein neuer Verfallstermin gesetzt und alle sind wieder zufrieden - zumindest für ein paar Jahre.
Die Kernfrage wird anscheinend überhaupt nicht mehr beachtet. Das ob scheint sich erledigt zu haben, derzeit geht es nun also schon um das wie. Im Grundsatz nicht falsch, wie ich finde. Doch wie scheinheilig diese Pseudo-Diskussion geführt wird, geht mir extrem gegen den Strich. Auf das kirchliche Lager gehe ich an dieser Stelle erst garnicht ein, diese Institution ist völlig überholt und verdient kein Mitspracherecht. Wer in diesem Kontext tatsächlich noch glaubt, dass der liebe Gott das Leben schenkt (und vor allem fleissig nimmt), der glaubt auch an den Weihnachtsmann und/oder den Osterhasen. Das Gute an diesem Standpunkt ist, dass mit einem Wisch alle lächerlichen Möchtegern-Argumente vom Tisch sind, und der Blick auf die relevanten Fragen frei wird.
Meine Position zu diesem Thema ist also geklärt. Nun zum nächsten Gegenargument. Wann beginnt das Leben? Ist das nicht prenataler Mord im Namen der Wissenschaft? Soweit ich weiß, werden die embryonalen Stammzellen einem Zellhaufen entnommen. Der o. g. Logik zufolge, sollten die Befürworter dieser Argumentation lieber weiter gegen die Abtreibung wettern. Einer halbwegs menschlich anmutenden Kaulquappe traue ich mehr Bewußtsein zu als einem wirren Zellklumpen. Das wirft wiederum die Frage auf, was wird als lebendig definiert? Nur weil ich esse, kacke und atme (in dieser Reihenfolge) bin ich noch nicht lebendig, erst wenn ich mir über meiner selbst im Klaren bin, zwischen mir und Aussenwelt unterscheiden kann, mich also selbst als Individuum erkenne, dann bin ich am leben. Aber das ist nur meine Meinung und ich schweife ab.
Eben habe ich im Radio gehört, dass während dieser Debatte angeblich das Argument angebracht wurde, die Stammzellenforschung habe bisher keine Erfolge aufzuweisen und solle deswegen sofort eingestellt werden. Sollte es im Bundestag tatsächlich ein solch immenses Quantum an galoppierender Blödheit geben? Okay, das war eine rhetorische Frage. Mit so einer Einstellung würde wir wahrscheinlich noch in mittelalterlichen Zuständen leben und fliegende Maschinen als Satanswerk betrachten - der Kirche würde das gefallen. Eventuell sollte den Hobbyalkoholikern auch einfach nur mal jemand den Unterschied zwischen Grundlagenforschung und Anwendungsforschung und/oder Industrieforschung erklären.
Die potentiellen therapeutischen Möglichkeiten der Stammzellenforschung scheinen immens. Den reinen Wettbewerb als Rechtfertigung für jegliche Art von Forschung zu legitimieren halte ich für falsch, ebenso wie religiöse Bedenken, die zum Verbot selbiger führen. Die meisten Skeptiker sollten sich erst mit den Definitionen von Ethik und Moral befassen, bevor sie diese als Argumente ins Feld führen. Schlussendlich läßt sich die menschliche Neugier nicht bändigen, das hat gute und schlechte Seiten. Das wirre Herumexperimentieren mit nuklearer Technologie, als diese noch in den Kinderschuhen steckte, hat Opfer erfordert aber auch Erkenntnisse gebracht. Als die ersten Obduktionen durchgeführt wurden schrie die Kirche auch Zeter und Mordio. Ich vermute, die Menschen werden in 100 oder 200 Jahren ähnlich verwundert auf einige Fragen der heutigen Zeit zurückblicken, kann mir dann aber egal sein.